»In der angewandten Forschung sollte man Frustrationstoleranz mitbringen«

Interview /

Dass Alina Gawel mal in den Naturwissenschaften landen würde, hat sich bereits in der Kindheit abgezeichnet – u. a. dank eines Vaters, der ihr sehr anschaulich chemische Zusammenhänge nahegebracht hat. Es folgten Chemie-Leistungskurs sowie ein Bachelor- und Master-Studium mit diesem Schwerpunkt. Inzwischen promoviert Alina Gawel am Fraunhofer UMSICHT in der Abteilung Elektrosynthese und gibt zum »Internationalen Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft« Tipps für eine Karriere in der Forschung.

Alina Gawel
Alina Gawel promoviert in der Abteilung Elektrosynthese des Fraunhofer UMSICHT.

Wo liegt Dein Forschungsschwerpunkt am Fraunhofer UMSICHT?

Alina Gawel: Meine Forschung am Fraunhofer UMSICHT thematisiert die CO2-Elektrolyse. Ich nähere mich dem Thema von zwei Seiten: Auf der einen Seite entwickle ich Elektroden für die CO2-Elektrolyse, auf der anderen Seite entwickle ich auch Katalysatoren auf Basis sulfidischer Materialien. Darüber hinaus engagiere ich mich noch in einem Nebenprojekt. Unter dem Titel »Sapsorber« befassen ein UMSICHT-Kollege und ich uns mit Wasserreinigung und versuchen, Schwermetalle aus Grundwasser zu entfernen. 

Wie sah Dein Weg in die Wissenschaft aus?

Alina Gawel: Das ging bei mir ehrlich gesagt sehr früh los. Ich habe bereits im Chemieunterricht in der zehnten Klasse gemerkt: Das wird mein Fach. Ich hatte eine recht engagierte Lehrerin und war ohnehin schon immer von dem Thema fasziniert. Mein Vater ist Ingenieur und hat mir schon seit der Kindheit chemische Sachverhalte anschaulich erklärt. Ein Beispiel: »Chlor und Natrium sind zwei ganz fiese Stoffe, mit beiden willst du nichts zu tun haben. Und wenn du sie zusammenbringst, weißt du, was dann passiert?« Und Klein-Alina stand mit großen Augen vor ihm und war gespannt auf die Auflösung – die dann »Kochsalz« lautete. Bis heute bin ich im Labor »geflasht«, wenn Sachen wirklich so funktionieren, wie sie in der Theorie auch funktionieren sollen.

Wie ging es dann weiter?

Alina Gawel: Ich bin den klassischen Weg gegangen: Chemie-Leistungskurs, Bachelor- und Master-Studium in Chemie… Und in der Chemie lässt es sich dann auch nicht vermeiden, zu promovieren – zumindest, wenn man in der Wissenschaft aufsteigen will. Da unterscheiden sich die Natur- ganz klar von den Ingenieurwissenschaften. 

Hattest Du während des Studiums schon eine Idee, in welche Richtung Du Dich spezialisieren möchtest?

Alina Gawel: Das hat tatsächlich im Bachelor schon angefangen. Damals habe ich mir bereits ein Thema aus dem groben Komplex Nachhaltigkeit ausgesucht. Da ging es um Schadstoffabbau. Um mich weiter darauf zu spezialisieren, bin ich nach dem Bachelor in Bochum nach Leipzig gegangen, um am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung zu arbeiten. Am Fraunhofer UMSICHT befasse ich mich schwerpunktmäßig zwar nicht länger mit Schadstoffen, dafür mit sauberer Energie. Dadurch bleibe ich der Nachhaltigkeit treu.

Warum hat das Thema Nachhaltigkeit einen so hohen Stellenwert für Dich?

Alina Gawel: Nachhaltigkeit ist ein sehr angewandtes Thema. Ich kann die Früchte meiner tagtäglichen Arbeit tatsächlich sehen und habe auch einen sehr konkreten Bezug dazu. Das hat mich schon immer mehr motiviert als Grundlagenforschung. Ich wollte mit meiner Forschung schon immer dazu beitragen, dass sich etwas verbessert, und nicht nur reines Wissen schaffen. 

Hast Du auf Deinem bisherigen Weg in die Wissenschaft an Fördermaßnahmen teilgenommen?

Alina Gawel: Zunächst hatte ich ein sehr förderndes Elternhaus. Meine Eltern haben mir alles ermöglicht und fanden meine Begeisterung für die Naturwissenschaften auch immer toll. Da wurde ich nie mit Stereotypen à la »Als Frau solltest du besser was Soziales machen« konfrontiert. In der Schule hatte ich ebenfalls viel Förderung. Die war nicht geschlechterspezifisch, sondern hatte damit zu tun, dass ich immer gute Noten hatte und mich ab und an im Unterricht gelangweilt habe. Deshalb durfte ich bereits während der Schulzeit einige Module an der Universität Köln belegen. Das ging also eher in Richtung Begabtenförderung. Aktiv an Frauenförderungsprogrammen nehme ich erst seit meiner Promotion am Fraunhofer UMSICHT teil.

Was für Förderungen sind das?

Alina Gawel: Ich bin beim »Mentoring3«-Programm der Research Academy Ruhr dabei. Es richtet sich ausschließlich an Doktorandinnen sowie Post-Doktorandinnen und läuft zwei Jahre. Da bekommt man eine Mentorin an die Seite gestellt. Sie soll beim Karriereweg unterstützen, den man sich ausgesucht hat. Darüber hinaus finden viele Seminare statt – etwa zur Karriereplanung oder zur Drittmitteleinwerbung.

Unabhängig davon gibt es noch die drei Fraunhofer-weiten Talenta-Programme »Start«, »Speed-up« und »Excellence«, an denen ich aber nicht teilnehme. Sie richten sich an Frauen in unterschiedlichen Karrierestufe. Bei »Start« bekommt man zum Beispiel ebenfalls einen Karrierecoach an die Seite, kann an Seminaren teilnehmen und – ganz wichtig – ein eigenes Netzwerk aufbauen. Die Plätze sind allerdings begrenzt: Pro Jahr, Stufe und Fraunhofer-Institut wird nur eine Frau gefördert. 

Hast Du das Gefühl, als Frau im Wissenschaftsbetrieb benachteiligt zu werden?

Alina Gawel: Ich selbst habe bislang ehrlich gesagt keine negativen Erfahrungen gemacht. Ganz im Gegenteil. Aber mein Eindruck ist, dass viele männliche Vorgesetzte das Thema Frauenförderung und speziell solche Programme wie Talenta nicht wirklich auf dem Schirm haben. Sei es, weil sie denken, dass solche Förderungen gar nicht notwendig sind, oder weil sie keine Benachteiligung von Frauen in der Wissenschaft wahrnehmen. Es könnte also nicht schaden, diese Programme immer mal wieder in Erinnerung zu rufen.

Schwierig finde ich das Thema Familie. Viele Jobs in der Wissenschaft sind einfach nicht familienfreundlich ausgerichtet. Das führt zum Beispiel dazu, dass Frauen gerade in den höheren Positionen – sei es in Professuren oder im Management – deutlich schwächer vertreten sind. Dabei gäbe es sicherlich familienfreundliche Lösungen wie Tandemführung. 

Was würdest Du ändern am Wissenschaftsbetrieb?

Alina Gawel: Grundsätzlich würde ich diese Leitungsstrukturen reformieren und Richtung Doppelspitzen gehen. Das ist in meinen Augen auch aus einem anderen Grund wichtig: Nachwuchswissenschaftlerinnen brauchen Vorbilder. Da tut sich in letzter Zeit zum Glück bereits einiges, aber auch das könnte sicherlich mehr sein. Deshalb bin ich auch eine Befürworterin von Frauenquoten – auch wenn es natürlich schöner wäre, wenn sich Gleichberechtigung automatisch einstellen würde. Aber von alleine hat sich da seit so vielen Jahrzehnten nicht viel getan. Und das, obwohl wissenschaftlich belegt ist, dass diverse Teams besser arbeiten, dass Frauen in Vorstand oder Management die Produktivität erhöhen. Da muss man dann vielleicht mit einem milden Zwang ran.

Zudem würde ich – unabhängig vom Genderthema – fachliche Kompetenz und Führung entkoppeln. Nur, weil jemand eine Koryphäe auf seinem oder ihrem Gebiet ist, heißt das nicht automatisch, dass er oder sie auch führen kann. Es sei denn, es wird entsprechend fortgebildet. Darüber hinaus fände ich gut, wenn männliche Vorgesetzte, aber auch Kollegen mehr für die besondere Situation von Frauen in der Wissenschaft sensibilisiert werden. Vieles, was nicht so rund läuft, passiert vermutlich aus Unwissenheit oder Tapsigkeit. 

Welche Tipps würdest Du Mädchen oder jungen Frauen geben, die in die Wissenschaft gehen wollen?

Alina Gawel: Sie sollten ganz viel Offenheit, ganz viele Fragen mitbringen und überall reinschnuppern. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler lieben es, über ihr Thema zu sprechen, deshalb kommt diese Neugier auch meistens gut an. Praktika machen, sich gut informieren, was man nach der Schule machen könnte. Es gibt wahnsinnig spannende Studiengänge, die weniger universell sind als Klassiker wie Chemie, die aber gar nicht so bekannt sind und vielleicht gut passen könnten. Und sich auf keinen Fall von jemandem stoppen lassen, der sagt, das sei nichts für Frauen – aus welchen Gründen auch immer. 

Gibt es Kompetenzen oder Fähigkeiten, von denen Du sagst, es würde nicht schaden, sie mitzubringen?

Alina Gawel: Gerade in der angewandten Forschung sollte man eine gewisse Frustrationstoleranz mitbringen. Es klappt so gut wie nie auf Anhieb so, wie man sich das vorgestellt hat. Man braucht ein dickes Fell, Hartnäckigkeit, Zielstrebigkeit, um wirklich dranzubleiben und sich nicht am Anfang verunsichern zu lassen, wenn die Resultate erst ein bisschen später kommen. Gerade wenn man experimentell tätig ist, ist es auch wichtig, zu organisieren und zu strukturieren. Man arbeitet in sehr komplexen Systemen und braucht wahnsinnig viele Ressourcen, Ausstattung und Zeit für die Experimente. Wenn das gut geplant ist, kann man sich einigen Frust ersparen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Forschung ein sehr heterogenes Aufgabenfeld ist – was den Job ja auch sehr sehr spannend macht. In der Chemie bzw. im Labor spielen fast schon handwerkliche Aspekte eine Rolle. Die erarbeiteten Ergebnisse müssen aber auch gut präsentiert und vorgestellt werden – auf Konferenzen oder in Gruppenseminaren. Man muss darüber schreiben können, also die Ergebnisse wissenschaftlich veröffentlichen. Irgendwann kommt es auch dazu, dass man Abschlussarbeiten betreuen muss und ein wenig Führungserfahrung sammeln kann. Es ist also ein sehr komplexes Paket, auf das man sich da einlässt. Dadurch wird es aber auch nie langweilig. 

Ein letzter Appell an Frauen und Mädchen, die eine Karriere in der Wissenschaft anstreben?

Alina Gawel: Vernetzt Euch und steht zusammen! Im Team ist man immer stärker. Man kann viel von den Erfahrungen anderer profitieren. Unterstützt Euch gegenseitig! Denn ich glaube, das ist auch ein Problem, das wir Frauen manchmal haben… Dadurch, dass wir für alles ein bisschen mehr kämpfen müssen als unsere männlichen Kollegen, sehen wir uns verstärkt in Konkurrenz zu unseren Mitstreiterinnen. Das ist schade, denn wir kommen viel weiter, wenn wir uns gegenseitig unterstützen.