»Geothermie bietet riesige Potenziale für die Wärmewende«

Interview /

Lässt sich tiefe Geothermie am Standort Hagen für die Papiertrocknung nutzen? Dieser Frage gehen die Kabel Premium Pulp & Paper GmbH (KPPP), Fraunhofer IEG und Fraunhofer UMSICHT in einem gemeinsamen Projekt nach. Während das IEG die Geologie des Untergrunds untersucht, entwickelt UMSICHT verfahrenstechnische Konzepte, um die Wärme in Prozesse der Papiertrocknung einzubinden. Wie das in der Praxis aussieht, erklären Dr. Marcus Budt und Sven Klute im Interview.

Sven Klute und Marcus Budt
Sven Klute (l.) und Dr.-Ing. Marcus Budt aus der Abteilung Energieanlagen am Fraunhofer UMSICHT.

Warum ist das Interesse an Geothermie momentan so groß?

Marcus Budt: Wir merken gerade, wie abhängig wir von Energieimporten sind. Die Frage, wie Deutschland und Europa sich in Zukunft sicher und alternativ versorgen können, steht in Politik und Industrie also ganz oben auf der Agenda. Geothermie bietet beispielsweise riesige Potenziale für die Wärmewende – mit Blick sowohl auf Heizungs- als auch auf Prozesswärme. Bereiche also, in denen zurzeit vor allem Erdgas zum Einsatz kommt.

Für welche Industrien kommt aus Geothermie gewonnene Wärme in Frage?

Marcus Budt: Geothermie aus Tiefen von 1500 bis 5000 Metern wird bislang in erster Linie für Wärmenetze, also für Heizungszwecke in Haushalten und Gewerben genutzt. In Kombination mit Wärmepumpenprozessen oder anderen Verfahren ist es aber perspektivisch auch möglich – auf Basis von tiefer Geothermie – Temperaturen bis zu 200 Grad bereitzustellen. Damit lässt sich auch Prozesswärme in der Industrie adressieren. Die wesentlichsten Branchen, die in diesem Temperaturbereich Bedarfe haben, sind die Papier- und die Lebensmittelindustrie. Also überall dort, wo etwas getrocknet, gekocht, gegart oder auch gereinigt werden muss.

Im Projekt »Geothermale Papiertrocknung« arbeiten das Fraunhofer UMSICHT mit der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastruktur und Geothermie IEG zusammen. Wie sieht die Arbeitsaufteilung aus?

Marcus Budt: Unser Fokus liegt auf der Anwendung in industriellen Prozessen: Wie bringe ich die erneuerbare Wärme ein? Wie erzeuge ich den Dampf, der gebraucht wird? Wie bringen wir die thermische Energie in den Prozess? Und was ändert sich dadurch im bestehenden Energieversorgungssystem des Industriestandortes? Dabei sind wir im Grunde genommen offen, was die Input-Energie ist. Unsere im laufenden Projekt entwickelten Verfahrensrouten setzen im konkreten Fall auf geothermischer Energie auf, sind aber auch kompatibel mit anderen erneuerbaren Energien wie Biomasse, Solarthermie oder auch industrieller Abwärme. Die Stärke des IEG lässt sich davon sehr gut abgrenzen. Die Kolleginnen und Kollegen kennen sich als Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftler im Untergrund aus und generieren mit ihren Untersuchungen der Tiefengeothermie vor Ort die entscheidenden Erkenntnisse für eine zukünftige Nutzung dieser erneuerbaren Energiequelle in der Region Hagen.

Was umfasst das UMSICHTige Arbeitspaket?

Sven Klute: Wir untersuchen, wie sich tiefengeothermale Quellen für die Prozessdampfbereitstellung der Papierfabrik nutzen lassen. Hierfür sind wir zum einen auf die geologischen Daten des IEG – wie absehbare Temperaturen oder Durchflussmengen – und zum anderen auf die Prozessparameter der Papierfabrik angewiesen. Es geht also im Grunde um die Verfahrensentwicklung. Dabei untersuchen wir neben dem Verfahren selbst auch die Rückkopplung auf das Energieversorgungsystem der Papierfabrik. Wenn wir also Verfahren A, B oder C nutzen, welche Auswirkungen hat das auf die Abläufe bei KPPP? Am Projektende haben wir dann eine Vorstellung davon, wie wir den gesamten Prozess auslegen können, und könnten auf dieser Basis in die genauere Planung einsteigen.

Was sind Dinge, die bei Rückkopplung auftreten können?

Marcus Budt: Die Energieversorgung eines Industrieunternehmens ist in der Regel ein gut funktionierendes Bestandssystem. Häufig über Jahre gewachsen und auch immer wieder optimiert. Jetzt kommt aber mit der Geothermie eine zusätzliche neue Energiequelle mit rein. Dadurch verschieben sich natürlich Funktionsweisen für das gesamte Energieversorgungssystem. Und gewisse Optimierungen, die bislang sehr gut waren, müssen nochmal hinterfragt werden.

Im schlimmsten Fall müsste KPPP also größere Änderungen am System vornehmen?

Marcus Budt: Im schlimmsten Fall müsste man größere Änderungen vornehmen, aber in der Regel ist es mit kleineren Änderungen getan. Schließlich geht es vor allem darum, die neue Energie geschickt an der richtigen Stelle einzubinden und das Zusammenspiel zu organisieren. Diese Integration muss gut geplant sein, damit man eben nicht das gesamte Bestandssystem umkrempeln muss. Das ist im Übrigen die große Herausforderung vor der aktuell etliche Unternehmen und ganze Branchen stehen, die sich mit der Frage beschäftigen, wie sie ihre Energieversorgung zukunftssicher umgestalten können.

Und dafür muss das geeignete Verfahren entwickelt werden. Wie geht UMSICHT dabei vor?

Sven Klute: Man kann sich das Ganze wie ein Baukastensystem mit potenziellen Verfahrensrouten vorstellen, die von UMSICHT zusammengetragen und entwickelt wurden. Diese nutzen eine Wärmequelle – in diesem Fall heißes geothermales Wasser – um Prozesswärme bereitzustellen. Hierbei berücksichtigen wir die standortspezifischen Daten um ein geeignetes Verfahren für das Projekt zu identifizieren. Dabei stehen auf der einen Seite die Rahmenbedingungen bei KPPP: Wir kennen das System und wissen, mit welchen Parametern der Prozessdampf benötigt wird. Auf der anderen Seite stehen die geologischen Daten und dort sind momentan noch die meisten Fragezeichen. Zur Eingrenzung dieser Daten hat das IEG parallel zu unseren Untersuchungen eine seismische Messkampagne und eine Erkundungsbohrung durchgeführt. Je genauer die Randbedingungen sind und zukünftig noch werden, desto weiter können wir die Zahl der möglichen Verfahrensrouten reduzieren.

Marcus Budt: Wirkliche Gewissheit über die förderbare Temperatur und Wärmemenge einer Geothermiebohrung an einem Standort herrscht leider erst, wenn man vor Ort gebohrt und das Wasser gefördert hat. Erst dann lassen sich konkrete Aussagen zu Temperaturen und Volumenströmen machen. Die Schwierigkeit: Der Untergrund in Nordrhein-Westfalen ist zum großen Teil noch nicht ausreichend erkundet. Das ändert sich jetzt nach und nach. Über den geologischen Dienst NRW laufen beispielsweise in letzter Zeit verstärkt Kampagnen mit seismischen Untersuchungen, um hier für mehr Klarheit zu sorgen.

Wir untersuchen das jetzt in Hagen. In dem Moment, in dem im Umkreis der Papierfabrik wirklich eine Förderbohrung stattfindet, hätten wir Gewissheit darüber, ob Geothermie am Standort zur Papiertrocknung zum Einsatz kommen kann. Und natürlich hätte das auch Auswirkungen auf die Region. Mit weiteren Bohrungen könnte dann beispielsweise auch die Wärmeversorgung benachbarter Städte oder weiterer Unternehmen adressiert werden.

Mit welche Tools grenzt Ihr die Auswahl der Verfahren ein?

Sven Klute: Wir nutzen u.a. Simulationen, um uns die Kombination aus Temperaturen der eingehenden Geothermie und der Einbindung in das bestehende Energiesystem anzuschauen. Gleichzeitig haben wir Kriterien entwickelt, mit deren Hilfe wir verschiedene Verfahrensrouten vergleichen und bewerten können. Am Ende des Projektes stehen dann potenzielle Verfahrensrouten, mit denen die Geothermie bei KPPP integriert bzw. in Dampf umgewandelt werden kann. Ob diese Routen dann wirklich die passenden für den Standort sind, hängt stark von den Randbedingungen ab – sowohl von den geologischen Daten als auch von den unternehmerischen Entscheidungen vor Ort. Oft reicht das Temperaturniveau der Geothermie nicht aus, um direkt den benötigten Dampf zur Verfügung zu stellen. In solchen Fällen wird zusätzliche Sekundärenergie benötigt, wobei diese z. B. in Form von Strom oder weiteren Wärmequellen bereitgestellt werden kann.

Am Ende des Projektes steht also noch keine finale Verfahrensroute?

Marcus Budt: Nein. Das war aber auch von Anfang an klar. Unser Ziel ist es, am Ende des Projektes eine Handvoll potenzieller Verfahrensrouten vorliegen zu haben. Bis dahin müssen wir noch viele Auswertungen machen. Zum Beispiel mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit und den CO2-Fußabdruck der unterschiedlichen Routen. Auch gewisse Schwankungen in der Geothermie müssen wir einkalkulieren. Das Verfahren muss zudem robust ausgelegt sein, um verkraften zu können, dass die bei einer späteren Bohrung vorgefundenen Wassertemperaturen unter Umständen um zehn Grad höher oder tiefer liegen können.

Habt Ihr seit Start des Projektes bereits weitere Anfragen von Unternehmen mit Blick auf die Nutzung von Geothermie erhalten?

Marcus Budt: Im Moment bekommen wir generell sehr viele Anfragen aus der Industrie. Und zwar zu allen Themen rund um die Energieeffizienz und die Transformation hin zu einer klimaneutralen Energieversorgung. Da machen sich derzeit der herrschende Preisdruck und die Unsicherheit mit Blick auf Erdgas bemerkbar. Ganz konkret zu Geothermie erreichen uns auch immer mehr Anfragen – sowohl aus NRW als auch aus anderen Regionen in Deutschland. In Bayern beispielsweise ist die Nutzung der tiefen Geothermie schon eine länger erfolgreich genutzte und auch bekanntere Energiequelle. Neben Projekten in Wärmenetzen und Haushalten wächst dort auch das Interesse an der Industrieversorgung. Und da sind wir mit unserem Projekt gerade wirklich unter den Vorreitern.