»Durch eine Flexibilisierung der Anlagen können Krankenhäuser sowohl zum elektrischen Energieausgleich beitragen als auch Kosten senken«

Interview /

Seit Oktober 2018 nehmen UMSICHT-Forschende das Evangelische Krankenhaus Hattingen unter die Lupe: Wie können die Versorgungsanlagen des Krankenhauses zum elektrischen Energieausgleich genutzt werden? Und wie lässt sich der Anlagenbetrieb flexibel planen? Im Gespräch mit Anne Hagemeier werfen wir einen Blick auf den aktuellen Stand im Projekt »Hybrider Energiespeicher Krankenhaus (HESKH)«.

Anne Hagemeier
Dr.-Ing. Anne Hagemeier forscht in der Abteilung Energiesysteme am Fraunhofer UMSICHT.

An welcher Stelle im Projekt stehen Sie gerade?

Anne Hagemeier: Wir haben zunächst viele Daten erhoben und dabei u.a. Abteilungen, technische Geräte, Kältemaschine, Blockheizkraftwerk (BHKW), Kessel, Wärmespeicher und Notkühler vermessen. Inzwischen kennen wir das Krankenhaus sehr gut und arbeiten an verschiedenen Modellen – von der Flexibilisierung über die Prognose bis zur Energieeffizienz. Das Modell zur Energieeffizienz ist allerdings eher ein Nebenprodukt…

Inwiefern?

Anne Hagemeier: Unser Fokus liegt eigentlich auf der Flexibilisierung der Krankenhausanlagen. Aber auf Basis der erhobenen Daten können wir sehr gut bestimmen, wie sich der Stromverbrauch im Krankenhaus zusammensetzt. Zudem existierte aus früheren Forschungsprojekten ein Modell, das wir ohne großen Aufwand angepasst haben. Jetzt können wir sehen: Wo wird im Krankenhaus Energie verbraucht? Und was passiert mit diesem Verbrauch, wenn wir einzelne Parameter ändern?

Das heißt, Sie können mit Hilfe des Modells zeigen, wo und wie das Krankenhaus Energie einsparen kann?

Anne Hagemeier: Ganz genau. Zum Beispiel konnten wir feststellen, dass Fassaden und Fenster ein großer Hebel sind. Dort zu sanieren, würde sich lohnen, wäre allerdings mit großem Aufwand verbunden. Einsparpotenzial gäbe es auch bei der Beleuchtung: Man könnte die aktuell im Einsatz befindlichen Leuchtstoffröhren durch LEDs ersetzen. Und die Analyse des Betriebs der Kältemaschine zeigt, dass diese insbesondere für den Winterbetrieb, wenn nur wenig Kältebedarf vorliegt, zu groß ausgelegt ist. Hier könnte ein Tausch der Anlage oder eine veränderte Regelung helfen.

Allerdings gilt: Energie macht in Krankenhäusern nur zwei bis vier Prozent der Gesamtkosten aus. Das meiste Geld fließt ins Personal. Die Motivation, beim Thema Strom anzusetzen, ist also eher gering. Da ist es natürlich besonders wichtig, die Vorteile aufzuzeigen und zudem Einsparmaßnahmen zu finden, die sich ohne großen Aufwand realisieren lassen. Die Lüftung im OP ließe sich nachts herunterfahren, wenn in der Regel keine Operationen durchgeführt werden. Das ist nur eine kleine organisatorische Maßnahme, hat aber einen hohen Effekt.

Vor allem konzentrieren Sie sich aber auf die Flexibilisierung der Krankenhausanlagen. Wie genau kann ich mir das vorstellen?

Anne Hagemeier: Konkret schauen wir uns an, wie sich das vorhandene Blockheizkraftwerk, die Stromspeicher und die Kältemaschine sowie einige für die Zukunft geplante Technologien flexibel betreiben lassen – und zwar mit Blick auf die Anforderungen des Strommarktes. Hierfür setzen wir ein mathematisches Optimierungsmodell ein, um in Abhängigkeit der Rahmenbedingungen die bestmögliche Betriebsweise der Anlagen zu ermitteln. Dazu haben wir bereits einige Modelle entwickelt, die jetzt zu einem Energiesystemmodell kombiniert werden. In diesem Zusammenhang haben wir uns auch mit Preis-Szenarien für den Strommarkt befasst, um zu schauen, wie sich die Märkte in den kommenden Jahren verändern. Was passiert beispielsweise, wenn höhere Preisspitzen auftreten? Dazu haben wir ein stochastisches Tool entwickelt, in dem man vergangene Preiszeitreihen einlesen und Effekte aufprägen kann.

Ein weiterer wichtiger Faktor: die Prognose. Mit einem künstlichen neuronalen Netz bestimmen wir auf Basis der Wetteraussichten den Wärmebedarf für den nächsten Tag. Bei geringeren Außentemperaturen muss mehr Wärme produziert werden, um das Krankenhaus auf seinem gewohnten Temperaturlevel zu halten. Indem wir dies in der Optimierung berücksichtigen, stellen wir sicher, dass der Wärmebedarf des Krankenhauses jederzeit gedeckt wird.

Und wie hängt all das mit den Strompreisen zusammen?

Anne Hagemeier: Das Blockheizkraftwerk des Krankenhauses erzeugt auch Strom. Dieser wird sowohl im Krankenhaus genutzt als auch ins Netz gespeist. Eigentlich ist für das Krankenhaus positiv, wenn das BHKW möglichst immer durchläuft. Dann muss nicht so viel Strom dazu gekauft werden. Wenn die Anlagen aber flexibel betrieben werden, bietet sich Möglichkeit, sowohl zum elektrischen Energieausgleich beizutragen als auch Kosten zu senken bzw. Erlöse zu steigern.

Nehmen wir zum Beispiel einen wind- und sonnenreichen Tag, an dem es ein Stromüberangebot gibt. Der Strompreis ist niedrig, also wäre es für das Krankenhaus sinnvoller, Energie nicht selbst zu produzieren, sondern billig einzukaufen. Das BHKW könnte sogar abgeschaltet werden. An einem Tag mit wenig erneuerbaren Energien im Strommix ist die Lage genau umgekehrt: Die Preise steigen, und für das Krankenhaus lohnt es sich wieder, Strom selbst zu produzieren und auch ins Netz zu speisen.

Und die Vorteile für das Krankenhaus sind am Ende des Tages Kosteneinsparungen bzw. steigende Erlöse?

Anne Hagemeier: Genau. Indem es seine Anlagen flexibel einsetzt und die Preisunterschiede am Strommarkt ausnutzt, kann es den selbstproduzierten Strom verkaufen, wenn die Preise hoch sind, bzw. einkaufen, wenn die Preise niedrig sind. Damit tut das Krankenhaus gleichzeitig auch dem Stromnetz etwas Gutes.

Könnte sich da tatsächlich ein neues Geschäftsmodell für Krankenhäuser auftun?

Anne Hagemeier: Das finden wir mit unserer Forschung heraus.

Ließe sich das Energiesystemmodell, das im Rahmen des Projektes entsteht, auch auf andere Krankenhäuser übertragen?

Anne Hagemeier: Die grundlegenden Modelle und Daten sind da. Zum Beispiel typische Verbrauchslastgänge von Bettenzimmern und Behandlungsräumen. Trotzdem muss alles mit Messdaten aus dem jeweiligen Krankenhaus abgeglichen werden, um zu wissen, ob der Verbrauch realistisch wiedergegeben wird. Das heißt: Das Energiesystemmodell müssten für jedes weitere Krankenhaus angepasst werden. Und dieser Aufwand ist sehr hoch. Es sei denn, man realisiert das Modell nur für Teilbereiche, wie einen Gebäudeteil oder eine Anlage.

Doch auch ohne komplexe Modelle aufzustellen, sind wir in einer guten Position, Krankenhäuser zu beraten. Bereits 2009 haben wir ein Projekt beendet, bei dem wir in 20 Krankenhäusern Messungen vorgenommen haben. Wir haben uns Betriebsdaten, Wärme und Kälteversorgung, Lüftung und Trinkwasserversorgung angesehen. Auf dieser Basis haben wir Best-Practice-Lösungen erarbeitet, um die Energieeffizienz zu verbessern.

Im Projekt Hospital Engineering sind wir einen Schritt weitergegangen. Dort ist das Modell entstanden, von dem ich oben berichtet habe und mit dessen Hilfe sich sowohl der Energieverbrauch in Krankenhäusern darstellen, als auch Einflussfaktoren und Effizienzmaßnahmen identifizieren lassen.

Und wie sehen die nächsten konkreten Schritte im Projekt HESKH aus?

Anne Hagemeier: Nach unseren ganzen Vorarbeiten sind wir soweit, dass wir mit Simulationen starten können. Jetzt geht es darum, konkrete Potenziale zu berechnen: Wie können die Anlagen in Hattingen flexibel betrieben werden? Wie fallen dann die Erlöse aus? Und wie genau müssen die Prognosen sein, damit wir am Ende keine Abweichungen haben? Danach wissen wir dann, inwieweit sich die Flexibilisierung lohnt und welche Rolle Krankenhäuser tatsächlich im elektrischen Energieausgleich spielen können.