Statement zum Abschluss-Kommuniqué des GFFA 2021

Menschheit sicher, nachhaltig und ausgewogen ernähren

Urbane Agrarproduktion: Schematische Darstellung der SUSKULT-Vision.
© Fraunhofer UMSICHT/Sandra Riedel
Urbane Agrarproduktion: Schematische Darstellung der SUSKULT-Vision.
Hier soll eine Demonstrationsanlage entstehen: Klärwerk Emschermündung an der Stadtgrenze zwischen Dinslaken, Oberhausen und Duisburg.
© EGLV Rupert Oberhäuser
Hier soll eine Demonstrationsanlage entstehen: Klärwerk Emschermündung an der Stadtgrenze zwischen Dinslaken, Oberhausen und Duisburg.

Auf der 13. Berliner Agrarministerkonferenz (Global Forum for Food and Agriculture (GFFA)), die am 22. Januar 2021 mit einem Abschlusskommuniqué1 der Landwirtschaftsminister*innen aus 76 Ländern zu Ende ging, wurde darüber beraten, wie die Landwirtschaft trotz Pandemien und Klimawandel langfristig die Menschheit sicher, nachhaltig und ausgewogen ernähren kann. Hierzu waren Expert*innen aus Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft eingeladen.

Gegenwärtige Agrarsysteme tragen ganz wesentlich zum Überschreiten der planetarischen Grenzen2 bei3 4. Für die Sicherstellung nachhaltiger Ernährungssysteme ist der effiziente und bedarfsgerechte Einsatz von Düngemitteln zentral. Zudem übt die Versorgungssicherheit der Bevölkerung mit frischen und hochwertigen Nahrungsmitteln bei gleichzeitiger Reduzierung der Umweltbelastung zusätzlichen Druck auf die Nahrungsmittelproduktion aus. Aus deutscher Sicht scheint die Grundversorgung mit ausreichend und bezahlbaren Nahrungsmitteln gesichert zu sein, aus Verbraucherperspektive gewinnen aber trotz oder gerade deswegen zunehmend neue Werte an Bedeutung, z. B. an Vertrauen und Nähe, Gesundheit, Nachhaltigkeit und Fairness5.

Im Jahr 2050 werden voraussichtlich 66 Prozent der Bevölkerung weltweit in Städten leben. Aktuelle empirische Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die urbane und peri-urbane Landwirtschaft eine Schlüsselfunktion in einer stabilen Nahrungsversorgung der Stadt der Zukunft spielen wird6 7 8.

 

[1] GFFA (2021): Pandemien und Klimawandel: Wie ernähren wir die Welt? 13. Berliner Agrarministerkonferenz – Abschlusskommuniqué (deutsche Fassung)
[2] Planetare Grenzen: Konzept, das von einer 28-köpfigen Gruppe von Erdsystem- und Umweltwissenschaftler*innen unter Leitung von Johan Rockström (Stockholm Resilience Centre) entwickelt wurde und die ökologischen Grenzen der Erde beschreibt, deren Überschreitung die Stabilität des Ökosystems und die Lebensgrundlagen der Menschheit gefährdet.
[3] Rockström, J., et al. (2009): A safe operating space for humanity. In: Nature 461, Heft 7263, S. 472–475.
[4] Bönisch, A.; Engler, S.; Leggewie, C. (2016): Fünf Minuten nach Zwölf? In: Engler, S.; Stengel, O.; Bommert, W. (Hrsg.): Regional, innovativ und gesund. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 25–40.
[5] Stierand, P. (2016): Urbane Wege zur nachhaltigen Lebensmittelversorgung. In: Engler, S.; Stengel, O.; Bommert, W. (Hrsg.): Regional, innovativ und gesund. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 117–136.
[6] Dubbeling, M., et al. (2016): City region food systems and food waste management: Linking urban and rural areas for sustainable and resilient development. Eschborn: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit.
[7] Eigenbrod, C.; Gruda, N. (2015): Urban vegetable for food security in cities. A review. In: Agronomy for Sustainable Development 35, Heft 2, S. 483–498.
[8] Jennings, S., et al. (2015): Food in an urbanised world. The role of city region food systems in resilience and sustainable development.

Handlungsfelder, die in dem Kommuniqué betrachtet werden

Unter der Überschrift »Aufruf zum Handeln« werden Reaktionen und Lehren aus der COVID-19-Pandemie für den Lebensmittel- und Agrarsektor diskutiert (GFFA 2021, p. 3ff.). Ein weiterer Block widmet sich dem Klimaschutz und der Anpassung an den Klimawandel für die beiden Sektoren. Im Einzelnen wird in den Abschnitten »Verantwortung der Ernährungssysteme«, »Verbesserung nachhaltiger Produktionsmethoden«, »Verbesserung der Bewirtschaftungsmethoden« und »auf dem Weg zu nachhaltigeren Ernährungssystemen« die Bedeutung von Klimaschutzmaßnahmen entlang der Wertschöpfungskette vom Acker in den Handel dargestellt.

Standpunkte der Autor*innen

Die Autor*innen begrüßen die im GFFA-Abschlusskommuniqué formulierten Ziele, insbesondere die Anerkennung der Bedeutung von Klimaanpassungsmaßnahmen für die gesamte Wertschöpfungskette durch die Agrarministerkonferenz. Gleichzeitig möchten wir in den folgenden drei Standpunkten Denkanstöße liefern und auf weitere Handlungsbedarfe und Optionen für eine nachhaltige und zukunftsfähige Ausgestaltung von Agrarsystemen hinweisen.

Intersektorale Zusammenarbeit stärkt die Klimaverantwortung der Ernährungssysteme

Zu Recht bekräftigt das GFFA-Abschlusskommuniqué die Notwendigkeit, zukunftsorientierte Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen, innerstaatliche Landwirtschaftspolitik neu zu gestalten, Investitionen zu fördern und in Richtung nachhaltiger landwirtschaftlicher Praktiken zu lenken (GFFA 2021, p. 7). Ein zentraler Erfolgsfaktor für eine zukunftsorientierte Neugestaltung der Landwirtschaftspolitik ist aus unserer Sicht die weitere Intensivierung von intersektoraler und erfolgreicher interministerieller Zusammenarbeit. Diese zeigen bereits heute, dass eine konzertierte und politisch integrierte Bearbeitung von komplexen und Sektoren verknüpfenden Herausforderungen besonders zielführend ist, insbesondere in den Bereichen Ernährung, Wasser und Energie9. Wir gehen zudem davon aus, dass zukünftig auch die intersektorale Verknüpfung verschiedener Wirtschaftszweige eine stärkere Bedeutung für die Lebensmittel- und Agrarbranche gewinnen wird, ganz im Sinne einer kreislauffähigen nachhaltigen Bioökonomie.

Potenziale der Nährstoffrückgewinnung aus Abwasser für die Verbesserung nachhaltiger Produktionsmethoden ausschöpfen

Das GFFA-Abschlusskommuniqué hebt zu Recht die Wichtigkeit hervor, die ineffiziente Verwendung von Nährstoffen zu vermeiden und den Nährstoffverlust in landwirtschaftlich genutzten Böden zu verringern (GFFA 2021, p. 8). Zugleich wird die Bedeutung der Überwachung natürlicher Ressourcen unterstrichen und betont, dass Wasserknappheit, mangelhafte Wasserqualität und Wasserüberschuss die Landwirtschaft sowie die Ernährung und die Ernährungssicherheit bedrohen (GFFA 2021, p. 10). Wir begrüßen den Ansatz der effizienten Nährstoffverwendung und verweisen in diesem Zusammenhang auf die wachsende Bedeutung der Nährstoffrückgewinnung in kreislaufbasierten bioökonomischen Produktionsmethoden. Die im GFFA-Abschlusskommuniqué auf Grundwasser- und Oberflächengewässerspeicherung abzielende Perspektive sollte aus Sicht der Autor*innen auch das enorme Potenzial der Wasserwiederverwendung und Nährstoffrückgewinnung aus Abwasser für die kreislaufbasierte landwirtschaftliche Produktion voll ausschöpfen. Die weitere Stärkung von Verfahren der Nährstoffrückgewinnung aus Abwasser stellt insbesondere vor dem Hintergrund der Endlichkeit der natürlichen Ressource Phosphor und der energieintensiven Herstellung von Stickstoffdünger eine wesentliche Weichenstellung für zukunftsfähige Agrarsysteme dar10 11.

Städtische und ländliche Ernährungssysteme gleichermaßen fördern

Zu Recht betont das GFFA-Abschlusskommuniqué die Notwendigkeit, verantwortungsbewusste Investitionen in ländliche Regionen und ländliche Infrastruktur fortzuführen und zu verstärken (GFFA 2021, p. 4). Bei diesem vornehmlich auf ländliche Ernährungssysteme fokussierenden Ansatz werden die Wertschöpfungspotenziale der urbanen Landwirtschaft aktuell noch nicht vollumfänglich ausgeschöpft. Im Einklang mit den Ergebnissen des 8. Berliner Agrarministergipfels im Jahr 201612 unterstreichen wir die Notwendigkeit, die Potenziale ländlicher und urbaner Lebensmittelproduktion gleichermaßen intensiv zu fördern. Als ein positives Beispiel ist an dieser Stelle der City Region Food Systems (CRFS)-Ansatz der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO)13 zu nennen, der mit Förderung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) entwickelt wurde und als ein zentraler Bezugspunkt für die Implementation der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und der New Urban Agenda (NUA) steht. Der CRFS-Planungsansatz wurde im wissenschaftlichen Begleitprogramm des 13. GFFA intensiv und anwendungsorientiert diskutiert14.

CRFS ermöglichen die gezielte Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer und sozialer Kontextbedingungen und bereiten nachhaltigen und kreislaufbasierten urbanen Ernährungssystemen den Weg. Dazu zählen für die Autor*innen insbesondere urbane landwirtschaftliche Produktionssysteme mit hoher Nährstoffeffizienz, wie eine geschlossene Hydroponik, welche Nährstoffe auf urbaner Ebene halten, Wassernutzungseffizienz steigern und Umweltemissionen vermeiden. Pilotstädte wie Toronto, Utrecht und Quito15 belegen, dass dicht besiedelte Metropolregionen für den zukunftsorientierten Auf- und Ausbau resilienter und nachhaltiger Ernährungssysteme von einer systematischen Umsetzung des CRFS-Ansatzes profitieren. Auch für die vielfältigen urbanen Transformationsprozesse in Deutschland16 scheint den Autor*innen ein Planungsansatz zielführend, welcher ländliche und urbane Lebensmittelproduktion stofflich und energetisch smart miteinander verbindet, auch und gerade angesichts der wachsenden Vulnerabilität von deutschen Metropolregionen gegenüber Extremwetterereignissen, Naturkatastrophen und Pandemien. Eine Strategieentwicklung für Deutschland unter Berücksichtigung der zuvor genannten Standpunkte erscheint daher als geboten und notwendig.

 

[9] Schwindenhammer, S.; Gonglach, D. (2021): SDG implementation through technology? Governing food-water-technology nexus challenges in urban agriculture. In: Politics and Governance 9, Heft 1, S. 176–186, DOI: 10.17645/pag.v9i1.3590 .
[10] Weidner E.; Deerberg G.; Keuter V. (2020): Urban Agriculture - The Future of Agriculture – Local, High-Quality and Value-Adding. In: Neugebauer R. (Eds): Biological Transformation. Berlin/Heidelberg: Springer Vieweg, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59659-3_17 .
[11] Keuter, V. (2020): Urbanes Leben und Innovationen – für eine nachhaltige Versorgung, Online-Beitrag, Webseite des Wissenschaftsjahres 2020/2021, https://www.wissenschaftsjahr.de/2020-21/aktuelles-aus-der-biooekonomie/koepfe-des-wandels/urbanes-leben-und-innovationen/.
[12] GFFA (2016): Wie ernähren wir die Städte? Landwirtschaft und ländliche Räume in Zeiten von Urbanisierung, 8. Berliner Agrarministergipfel 2016 – GFFA-Kommuniqué (deutsche Fassung).
[13] FAO (2019): City region food systems programme. Rome: FAO.
[14] GFFA (2021): City Region Food Systems – verbesserte Widerstandskraft gegenüber Pandemien und dem Klimawandel, GFFA-Fachpodium 4/ FAO und RUAF, 19.01.2021, https://www.gffa-berlin.de/fachveranstaltungen-2021/fachpodien/fachpodium-4/.
[15] FAO (2021): City Region Food Systems Programme – Where we work, http://www.fao.org/in-action/food-for-cities-programme/pilotcities/wherewework/en/.
[16] Doernberg, A., Horn, P., Zasada, I., Piorr, A. (2019): Urban food policies in German city regions: An overview of key players and policy instruments. In: Food Policy 89, Heft 101782, S. 1–13.

Stand: März 2021

Über das Projekt SUSKULT

Im Rahmen des Verbundprojekts SUSKULT wird an einem innovativen kreislaufbasierten Agrarsystem gearbeitet, das den gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen gerecht werden kann. Das Projekt »SUSKULT – Entwicklung eines nachhaltigen Kultivierungssystems für Nahrungsmittel resilienter Metropolregionen« (FKZ 031B0728) wird im Rahmen der Fördermaßnahme »Agrarsysteme der Zukunft« im Rahmen der »Nationalen Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030« der Bundesregierung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Weitere Informationen unter: www.suskult.de.

Über die Autor*innen des Statements

Dipl.-Ing. Volkmar Keuter leitet die Abteilung Umwelt und Ressourcennutzung am Fraunhofer-Institut UMSICHT in Oberhausen. Er ist Koordinator des Forschungsprojekts SUSKULT.

Dr. rer. pol. Sandra Schwindenhammer ist Postdoktorandin am Institut für Politikwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen. Sie ist stellvertretende Koordinatorin des Forschungsprojekts SUSKULT, leitet das Teilprojekt 4 »Umfeld- und Systemanalyse« und ist Sprecherin des Arbeitskreises Umweltpolitik und Global Change der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft.

Prof. Dr.-Ing. Heidrun Steinmetz ist Leiterin des Fachgebietes Ressourceneffiziente Abwasserbehandlung der TU Kaiserslautern und leitet im Forschungsprojekt SUSKULT das Teilprojekt 1 »NEWtrient®-Center«.

Prof. Dr. Dipl.-Ing. agr. Andreas Ulbrich hält die Professur für Gemüsebau und -verarbeitung an der Hochschule Osnabrück und leitet im Forschungsprojekt SUSKULT das Teilprojekt 3 »Nahrungsmittelproduktion«.

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Die Abteilung Photonik und Umwelt will Produktionsstätten langfristig einen sicheren Zugang zu Licht, Wasser, Luft, Energie oder Nährstoffen ermöglichen.

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Dipl.-Ing. Volkmar Keuter

Abteilungsleiter Umwelt und Ressourcennutzung

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