Hannover Messe 2012: Fraunhofer-Haus der Nachhaltigkeit

Hannover Messe 2012

Wohnzimmer, Küche, Bad, Arbeitszimmer, Garage: ein ganz normales Haus. Nicht so ganz. Das Fraunhofer-Haus der Nachhaltigkeit in Halle 2 der Hannover Messe zeigt, wie sich nachhaltige Produkte, Methoden und Verfahren künftig in den Alltag integrieren. Vom umweltfreundlich gegerbten Ledersofa im Wohnzimmer über biologisch abbaubare Kunststoffe in Küche und Arbeitszimmer, ein wassersparendes Urinal im Bad bis zur bemoosten Fassade zur Reduktion von Feinstaub reichen die Forschungsprojekte, die Fraunhofer UMSICHT vom 23. bis 27. April 2012 präsentiert. Halle 2, D22.

»Nachhaltigkeit« ergibt in der Google-Suche über 14 Millionen Treffer. Der Begriff ist aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Dass damit nicht nur ökologische Aspekte unseres Handelns gemeint sind, sondern auch ökonomische und soziale, ist weniger bekannt.

Die Bundesregierung hat 2012 zum Jahr der Nachhaltigkeitsforschung ausgerufen. Unter dem Motto »Zukunftsprojekt ERDE« sollen neue, nachhaltige Wege beim Wirtschaften, Zusammenleben und beim Umweltschutz eröffnet werden. Auch viele Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft arbeiten bereits seit vielen Jahren an diesen Themen. Über 20 Fraunhofer-Einrichtungen präsentieren im Fraunhofer-Haus der Nachhaltigkeit unterschiedlichste Ausstellungsstücke.

 

Fraunhofer UMSICHT im Haus der Nachhaltigkeit

Umweltfreundliche Ledergerbung, Moose zur Reduktion von Feinstaub, Wasserrecycling, Mikrosiebe zur Elimination von Schadstoffen aus Flüssigkeiten und Gasen, biobasierte Kunststoffe sowie ein Quiz zur Nachhaltigkeit und Ökobilanzierung sind die Themen, mit denen sich Fraunhofer UMSICHT präsentiert.

Sofa mit umweltfreundlich gegerbtem Leder

Die Gerbereiindustrie produziert jährlich ca. 2000 Quadratkilometer Leder. Über 90 Prozent davon sind wegen der hohen zu erzielenden Lederqualität mit Chrom-III-Salzen gegerbt.

Fraunhofer UMSICHT hat ein Verfahren entwickelt, das über 95 Prozent des chromkontaminierten Abwassers, die Hälfte des eingesetzten Chromgerbstoffs und Dreiviertel der Gerbdauer einspart. Weltweit können schätzungsweise 20 Milliarden Liter Abwasser,
160 000 Tonnen Chromgerbstoff und 500 000 Tonnen Salz eingespart werden, wenn das Verfahren flächendeckend eingesetzt wird.

Moose sollen Feinstaub reduzieren

Moose sind die ältesten Landpflanzen. Erfolgreich besiedeln sie biologische Nischen. Dazu haben sie interessante Überlebensstrategien entwickelt. Spezielle Aspekte der Physiologie von Moosen wie ihre Ionenaustauschkapazität, antibakterielle und fungizide Wirkung rücken sie in das Interesse der Forschung. Fraunhofer UMSICHT untersucht das Potenzial von Moosen zur Absorption von Feinstaub. Ein Ziel ist es, Feinstaub in Ballungszentren durch vertikale Bemoosung von Fassaden zu reduzieren. Die langfristige Perspektive besteht darin, große Fassadenflächen zu bemoosen, um das Mikroklima und die Feinstaubkonzentration in Ballungsräumen signifikant beeinflussen zu können.

Wassersparendes Urinal

Umweltfreundliche Produkte stehen bei Verbrauchern hoch im Kurs, denn meist schonen sie neben der Umwelt auch die Haushaltskasse. Innovative Sanitärtechnologie hilft, den Wasserverbrauch zu reduzieren. Von den täglich 122 Litern Wasser, die im Jahr 2011 gemäß des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW) pro Kopf in Deutschland verbraucht wurden, flossen rund 33 Liter, meist reines Trinkwasser, durch die Toilette, 44 Liter in die Abflüsse von Dusche, Badewanne und Waschbecken und endeten als Schwarz- und Grauwasser in den Kläranlagen.

Villeroy & Boch zählt zu den ersten Herstellern wassersparender Toiletten, die unter 4,5 Liter Wasser verbrauchen. Die Urinale des Unternehmens kommen schon mit 0,8 Litern Wasser anstelle von bisher zwei bis drei Litern aus. Kombiniert mit einer mehrstufigen Aufbereitung kann Fraunhofer UMSICHT ein Gesamtsystem zum Wasserrecycling anbieten, in dem das gereinigte Wasser in unterschiedlichen Qualitäten als Brauch-, Nutz- und Trinkwasser wieder zur Verfügung gestellt wird. Ein Ansatz, der besonders für größere Gebäudekomplexe (z. B. Hotelanlagen, Kleinsiedlungen, Freizeit und Shopping Center sowie Hochhäuser) in Wassermangelgebieten oder für abgelegene, dünn besiedelte Regionen ohne bestehende Ver- und Entsorgungsinfrastruktur relevant ist.

 

Mikrosiebe reinigen Wasser und Luft

Das Leitungswasser in Deutschland kann bedenkenlos getrunken werden. Das geklärte Abwasser wird sauber in Gewässer abgegeben. Doch Arzneimittelrückstände wie das Schmerzmittel Diclofenac und andere toxische Spurenstoffe verschmutzen das Wasser zunehmend. Dauerhaft können Betreiber von Wasserwerken und Kläranlagen die hohe Wasserqualität nur sichern, indem sie zahlreiche neue Barrieren gegen die Spurenstoffe errichten. Das ist technisch aufwändig und kostet viel. Fraunhofer UMSICHT begegnet diesem Trend.

Die Forscher setzten auf traditionelle Verfahren und Materialien der Wassertechnik, die sie mit neuen originellen Eigenschaften und Systemkomponenten aus der Nanotechnik ausstatten. So entstehen metallische Mikrosiebe, die feinste Partikel aus Wasser und Luft filtern. Die Poren des im Fraunhofer-Haus gezeigten Mikrosiebs sind 8 Mikrometer groß und damit rund 10mal kleiner als ein durchschnittlich dickes westeuropäisches Haar. Mikrosiebe zeichnen sich durch eine reproduzierbare und geordnete Porengeometrie mit mehr als 5 Milliarden Löchern pro Quadratmeter aus. Mikrosiebverfahren sind robust, leistungsstark und erreichen zuverlässig hohe Produktqualitäten.

Gegenwärtig werden Mikrosiebe mit chemisch reaktiven Oberflächen entwickelt, um Schadstoffe zu eliminieren. Mikrosiebverfahren bieten vor allem Vorteile in der Wasser, Abwasser- und Lebensmitteltechnik sowie der chemischen Industrie und Befeuerungstechnik.

 

BIOGRADE® - Biologisch abbaubare Kunststoffe für das Spritzgießen

Fraunhofer UMSICHT entwickelt biobasierte Kunststoffe. Mit BIOGRADE wurde eine lebensmittelkonforme, spritzgießfähige Werkstoffrezeptur auf Celluloseacetat-Basis entwickelt, die dem Kunststoff neue Anwendungsgebiete im Lebensmittelsektor erschließt. Die gemeinsame Entwicklung der FKuR Kunststoff GmbH und von Fraunhofer UMSICHT verbindet erneuerbares und biologisch abbaubares Celluloseacetat (CA) mit speziellen Additiven und Kopplern. BIOGRADE ist transparent (je nach Typ), kratzfest, einfärbbar und hitzeresistent. Um den biobasierten Anteil von CA von zurzeit ca. 50 Prozent zu erhöhen und die Materialeigenschaften zu verbessern, forscht Fraunhofer UMSICHT an alternativen biobasierten Weichmachern und anderen Funktionsadditiven. Im Fraunhofer-Haus werden Produkte aus BIOGRADE präsentiert.

Nachhaltigkeitsquiz

Mit Spaß bei der Sache sein ist die beste Motivation, um sich dauerhaft für ein Thema zu begeistern. Das Nachhaltigkeitsquiz von Fraunhofer UMSICHT spricht gezielt den Spieltrieb der Gäste im Fraunhofer-Haus der Nachhaltigkeit an. Es geht um Fragen zu Ökologie und Nachhaltigkeit. Vier Antworten werden vorgegeben und einige Sekunden später wird die richtige Antwort eingeblendet. Tipps zur Nachhaltigkeit lockern das Quiz auf. Ziel ist es, zu sensibilisieren und zu informieren.

»Grüner« Serverraum nutzt Ressourcen und Energie optimal

Die ständige und ortsunabhängige Verfügbarkeit von Informationen wird im unternehmerischen Alltag immer wichtiger. Entwicklungen wie Cloud Computing und mobile Endgeräte versprechen mehr Freiheit, sind aber auch für das Anwachsen der Infrastruktur in den Serverräumen bzw. Rechenzentren verantwortlich. Eine Folge ist ein erhöhter Energieverbrauch. Fraunhofer UMSICHT entwickelt im Einklang mit der Fraunhofer-Gesellschaft das interne Wissensportal GreenDataCenter mit dessen Hilfe die Energienutzung in Rechenzentren optimiert werden soll.

GreenDataCenter beschreibt in durchlaufenden Präsentationen die Methodiken, Dienstleistungen und Produkte von Fraunhofer UMSICHT zum Aufbau und Betrieb energieeffizienter Computerarchitekturen und Rechenzentren.

In der Produktion und Automatisierung ist der Betrieb von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) ein entscheidender Faktor. Hier liegen große Optimierungspotenziale in Bezug auf Ressourcen und Energieeffizienz brach. Sowohl Endgeräte als auch zentralisierte Serverstrukturen können entscheidend optimiert werden. Dieser Optimierungsprozess ist komplex und durch zahlreiche Wechselwirkungen gekennzeichnet.

Fraunhofer UMSICHT unterstützt bei der Auswahl geeigneter Messtechnik, bei der Durchführung gezielter Ist-Standanalysen, bei der Technologieauswahl und beim Benchmarking. Alle Branchen, die IKT in größerem Maßstab einsetzen, können durch diese Dienstleistung profitieren.

Fokus Produktion: Ressourceneffizienz in der Produktion weiterentwickeln (Halle 15, Stand F29)

Batterien von Elektroautos kühlen

Größe und Gewicht von Batterien sind derzeit noch Schwachstellen von Elektroautos. Um Energie und Platz einzusparen, sind Gewichtsreduktion oder Effizienzsteigerungen erforderlich. Fraunhofer UMSICHT entwickelt ein platzsparendes, leichtes Kühlungskonzept für Batterien in Elektroautos. Das spart elektrische Energie und erhöht somit die Reichweite der Fahrzeuge.

Traktionsbatterien von Elektroautos müssen stets ausreichend temperiert werden, um sowohl eine optimale Funktion als auch eine lange Lebensdauer zu gewährleisten.
Das neue Kühlungskonzept für Batterien von Fraunhofer UMSICHT nutzt das Phase Change Slurry CryoSolplus. CryoSolplus ist ein hybrides Wärmespeichermedium, das aus einem Phase Change Material (PCM) besteht, das in Wasser dispergiert ist. Damit wird die hohe Wärmekapazität des PCM mit den guten Fließeigenschaften und Wärmeübergängen von Wasser kombiniert. CryoSolplus besitzt eine Energiedichte, die 200 bis 300 Prozent größer als die von Wasser ist. So ergibt sich ein System, das bei gleicher Leistung weniger wiegt und weniger Platz verbraucht.

Der Energieverbrauch wird einmal durch die Temperierung auf eine nahezu konstante Temperatur reduziert. Dadurch steigt die Zahl der Tage im Jahr, in denen eine passive Kühlung, z. B. durch Umgebungsluft, möglich ist. Weiterhin werden die zu pumpenden Volumenströme und der damit zusammenhängende Energieverbrauch reduziert, und die Batterie kann in einem optimalen Temperaturbereich gefahren werden. Für ein vorausplanendes Thermomanagement wird der Speicher während des Ladens der Batterie über die Klimaanlage des Fahrzeugs mit günstigem Strom aus dem Netz geladen. Während der Fahrt erfolgt die Kühlung der Batterie über einen passiven Kühler oder aus dem Kältespeicher. Somit ist eine aktive Kühlung an weniger Tagen notwendig.

Fokus Energie: Durch effiziente Methoden nachhaltige Energieversorgung sichern (Halle 13, Stand C10)

»BIONIC MANUFACTURING«

© Folkwang Universität der Künste

Biologische Organismen erreichen ihre erstaunliche Leistungsfähigkeit in der Regel mit einer nur sehr begrenzten Auswahl unterschiedlicher Materialien. Der Schlüssel hierzu liegt in der feinteiligen, belastungsgerechten und häufig hierarchischen Strukturierung der biologischen Werkstoffe und Konstruktionen. Diese nahmen sich die Forscher zum Vorbild, um eine generative Fertigungstechnik für die Bauteilherstellung am Beispiel eines freischwingenden Stuhls zu entwickeln.

Gesamtziel des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekts ist die Weiterentwicklung des Selektiven-Laser-Sinterns (SLS) und des Maskensinterns (SMS) zu einer Fertigungstechnik für biologisch inspirierte Bauteile. Diese folgen sowohl in ihrer äußeren Gestaltung als auch in der inneren Werkstoffstruktur bionischen Prinzipien wie belastungsgerechter Geometrie und fein strukturiertem, lokal variierendem Aufbau des Werkstoffs. Die Technik wird am Beispiel eines Freischwingers demonstriert, einem alltäglichen, jedem vertrauten Gegenstand, der jedoch werkstoffmechanisch eine hohe Komplexität aufweist, an der die Vorteile der neuen Technologie demonstriert werden können.

Freischwinger aus Stahlrohr wurden in den 1920er Jahren erstmals vorgestellt. Der von Verner Panton 1960 entwickelte Panton-Stuhl war der erste spritzgussgeformte Kunststoff-Freischwinger, der aus nur einem Material bestand und nur mit einer Form gefertigt wurde. Einen im SLS-Verfahren hergestellten Kunststoff-Freischwinger gibt es bis dato noch nicht.

Fraunhofer UMSICHT ist Mitaussteller auf dem Stand von Biokon (Halle 2, D14).