»Es braucht mehr als ein PFAS-Verbot«

Interview /

Die EU plant ein Herstellungs- und Einsatzverbot für Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS). Ein wichtiger Schritt, um die Emissionen von PFAS-Schadstoffen zu begrenzen – wenn das Vorgehen differenziert und die Nutzenbewertung sachgerecht sind. Dr. Stefano Bruzzano, Mitentwickler der Aufbereitungstechnologie PerfluorAd®, spricht über ökologisch und ökonomisch sinnvolle Wege zur PFAS-Reduktion.

Sefano Bruzzano
Sefano Bruzzano

Was genau sind PFAS?

Stefano Bruzzano: PFAS gehören zu einer über 10 000 Chemikalien umfassenden Stoffgruppe. Erstmals wurden sie in den 1950er Jahren eingesetzt. Es handelt sich in klassischer Sichtweise um fluor-organische Tenside, die sowohl hydrophil als auch hydrophob sind. Dank dieser Eigenschaften dienen sie als Additiv in unzähligen Produkten.

Bitte nennen Sie uns Beispiele, wo sie überall vorkommen.

Stefano Bruzzano: Ein prominentes Beispiel ist Aqueous Film Forming Foam, ein sogenanntes AFFF-Schaummittel, das zum effizienten Löschen von energiereichen Flüssigkeitsbränden, z. B. in der Petrochemie oder von Flugzeugen, eingesetzt wird. In Haushaltsprodukten wie Backpapier oder in Pizzakartons kommen sie vor, in Imprägnier-Sprays und Schmiermitteln. Aber auch für die Elektromobilität – als integraler Bestandteil in Batterien – sind PFAS relevant. Man kann sagen, dass ihre Verbreitung nahezu unüberschaubar geworden ist.

Warum stehen PFAS so stark in der Kritik?

Stefano Bruzzano: Sie tragen eine Kohlenstoff-Fluor-Bindung (C-F-Bindung). Deren hohe Resistenz etwa gegen Hitze ist zum einen von Vorteil, zum anderen bauen sich PFAS dadurch nicht ab. Je nach Struktur gibt es unterschiedliche Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Für bestimmte Verbindungen wurden krebserregende Eigenschaften nachgewiesen. Andere sind toxisch für die Leber oder wirken hormonell. Viele in der Praxis genutzte PFAS-Verbindungen sind noch nicht im Detail untersucht, weshalb ein Herstellungs- und Einsatzverbot als Vorsorgeprinzip gegenwärtig Sinn macht. Einige PFAS wurden bereits verboten bzw. stark limitiert. Hierzu zählen Perfluoroctansulfonsäure (⁠PFOS⁠) und Perfluoroctansäure (PFOA).

Gibt es überhaupt Alternativen zu PFAS?

Stefano Bruzzano: Zunächst muss man sagen, dass die Eigenschaften von PFAS schon sehr besonders sind und sie sich nicht einfach durch andere Elementkombinationen ersetzen lassen. Es gibt zwar Alternativen z. B. auf Siliziumbasis. Die meisten sind aber noch nicht in dem Stadium, dass sie kommerzialisierbar sind. Hier braucht es Zeit.

Sie stehen also einem generellen Verbot kritisch gegenüber. Was wäre der richtige Weg?

Stefano Bruzzano: Mit einem generellen PFAS-Verbot würden aus Sicht von Wirtschaftsexpert*innen ganze Industriezweige lahmgelegt und moderne Technologien wegfallen. U. a. daher bedarf es einer differenzierten Regulierung. Ein besonders wichtiger Punkt ist, dass die Verbreitungswege nach außen geschlossen werden, um gezielt die entsprechenden Verbindungen eliminieren zu können. Regulierte, stoffspezifische Übergangsfristen führen gleichzeitig zu einer Reduktion der Substanzvielfalt. Produkte, die für eine direkte und nicht kontrollierbare Emission von PFAS sorgen, sollten hingegen zeitnah verboten werden. Ferner ist immer zu hinterfragen, ob eine konkrete – z. B. sicherheitstechnische – Notwendigkeit von PFAS gegeben ist oder es nicht andere Lösungen gibt. Bei Schaumlöschmitteln begann infolge mehrerer Regelungen der EU, die eine Limitierung einzelner PFAS-Substanzen sowie einiger PFAS-Gruppen vorgeben, eine Entwicklung fluorfreier Alternativen. Die EU hatte Übergangsfristen eingeräumt, die ein Handeln der Löschmittelhersteller und der Nutzer ermöglichten. Dennoch können zahlreiche Anwender die gesetzten Zeitvorgaben nicht einhalten. Hier müssen die Verantwortlichen beim Einsatz auf eine Kombination mit einer Aufbereitung und einer fachgerechten, nachvollziehbaren Entsorgung setzen.

Wie wichtig ist eine umfassende Betrachtung der im Umlauf befindlichen PFAS-Verbindungen?

Stefano Bruzzano: Der Markt rund um die »PFAS-Problematik« teilt sich derzeit in drei große Bereiche auf. Die Analyse ist einer davon. Wir müssen wissen, wo überhaupt Kontaminationen vorkommen. Und dafür müssen zunächst einmal alle Substanzen detektiert werden, in denen sich PFAS-Verbindungen befinden. Dann gibt es das Site Assessment, in dessen Aufgabenbereich die Erarbeitung von gesellschaftlich notwendigen und wirtschaftlichen Lösungen gehört. Wo und wie müssen PFAS bzw. Produkte mit deren Eigenschaften eingesetzt und adäquat entsorgt werden? Bereich Nummer drei baut auf die ersten beiden Bereiche auf. Hierzu zählt die Behandlung bzw. die Dekontamination. Betrachtet man den aktuellen Markt, machen die Analyse und das Site Assessment den Löwenanteil aus, während die PFAS-Behandlung noch ausbaufähig ist.

Und genau da sind Sie tätig. Seit wann beschäftigt sich das Fraunhofer UMSICHT mit dem Thema der PFAS-Behandlung?

Stefano Bruzzano: Ich begleite die PFAS-Thematik, insbesondere die Entwicklungen im letztgenannten Bereich der Behandlung von PFAS-Schäden, von Anfang an am Institut. Mittlerweile sind es 15 Jahre, die wir daran forschen. Es kam bereits sehr früh zu einer Zusammenarbeit mit der Cornelsen Umwelttechnologie GmbH. Wir wollten im Rahmen eines ersten gemeinsamen Projekts ein spezifisches Biosorbent herstellen, um kurzkettige PFAS-Verbindungen abzutrennen. Dazu haben wir Zellulosesubstrate wie Holzspäne, Hanfstängel und auch Kaffeesatz genommen, deren Oberfläche modifiziert und ein Sorbent für wässrige Medien entwickelt, die durch PFAS kontaminiert sind. Das hat auch sehr gut funktioniert. Die aufwändige Synthese war allerdings herausfordernd, auch hinsichtlich der resultierenden Herstellungskosten. Im nächsten Schritt haben wir daher die Chemie des Prozesses – sie fand auf der Oberfläche des Sorbens statt – ins Wasser transformiert, um einen Ausfällungsprozess zu generieren. Dabei haben wir konsequent auf bioabbaubare Strukturen als Wirkstoffe gesetzt.

Das war die Vorarbeit für das PerfluorAd®-Verfahren.

Stefano Bruzzano: So ist es. Als einfach handhabbare Lösung resultierte daraus PerfluorAd®. Der von Fraunhofer UMSICHT und Cornelsen entwickelte Wirkstoff wird in eine Lösung gegeben, was zu einer Fällung der fluorierten Substanz führt. Es entsteht ein mit PFAS kontaminierter Schlamm, der abgetrennt und verbrannt oder durch andere Verfahren, deren Marktreife noch zu beweisen ist, mineralisiert werden kann. Das Verfahren ist mit weiteren PFAS-Aufbereitungstechnologien kombinierbar, die im Nachgang zum Einsatz kommen und für das »Polishing« – eine möglichst vollständige Dekontamination – sorgen. Bei unserem Verfahren greifen wir auf funktionale Komponenten zurück, die bereits in anderen Applikationen, z. B. im Personal-Care-Bereich oder im Home-Care-Bereich, in Verwendung sind. Sie sind durch den jeweiligen Hersteller sehr gut spezifiziert, auch bezüglich ihrer Toxizität und eingesetzter Mengen. Es gibt Zertifizierungen und wichtige Kenndaten stehen zur Verfügung, die uns geholfen haben, das jeweilige Produkt in ein neues Applikationsfeld zu bringen. Mittlerweile ist PerfluorAd® seit fünf Jahren am Markt und über Europa und Nordamerika internationalisiert.

Wo spielt das Verfahren seine Stärken aus?

Stefano Bruzzano: Insbesondere punktet PerfluorAd® bei hohen PFAS-Kontaminationen und ist, anders als die meisten herkömmlichen Verfahren, weitgehend unabhängig von organischen Belastungen im Wasser. Nehmen wir als Beispiel die in Deutschland vorwiegend eingesetzte Aktivkohle: Sie weist eine geringe Adsorptionsaktivität auf. Bei hochkontaminierten Wässern bedarf es auch einer großen Menge an Prozessmitteln. Hier kann PerfluorAd® bei der Vorbehandlung verwendet werden. Der Wirkstoff sorgt wie gesagt dafür, dass ein Großteil der PFAS ausfällt. Nur ein kleiner Rest muss mit einem weiteren Verfahren – in unserem Beispiel mit Aktivkohle – behandelt werden, um die verbleibenden PFAS-Gehalte im Wasser unter die gesetzlichen Grenzwerte zu bringen. Die Menge an Prozessmitteln und somit auch die Abfallmenge wird deutlich minimiert und es bedarf weniger Energie. Ein sowohl ökonomischer als auch ökologischer Vorteil – was wir im Rahmen von Nachhaltigkeitsbewertungen verifiziert haben.

Sie haben die Zusammenarbeit mit Cornelsen erwähnt. Wer ist wofür verantwortlich?

Stefano Bruzzano: Das Fraunhofer UMSICHT bringt seine Kompetenzen in der Chemie, in der Analytik und im Bereich der IP-Generierung und Schutzrechte mit ein. Cornelsen entwickelt verfahrenstechnische Lösungen zur effektiveren Anwendung (der Chemie) und setzt die Applikation aktiv beim Kunden um.

Wer sind die Kunden?

Stefano Bruzzano: Das PerfluorAd®-Team adressiert Unternehmen, die auf dem Gebiet der Reinigung von Sprinkleranlagen, Feuerwehrfahrzeugen oder Feuerwehrpumpen tätig sind. Ein großer Markt wird künftig auch der Bereich der Mülldeponien sein. In den USA ist vermehrt zu beobachten, dass PFAS z. B. aus deponierten Konsumgütern wie Elektrogeräten austreten und in die Umwelt gelangen. Entsprechend wichtig werden hier die Bodensanierung und die Behandlung von Sickerwässern sein. Industrieabwässer, etwa aus der Kunststoffherstellung, können kontaminiert sein, ebenso wie Grundwässer in der Umgebung weiterer PFAS-Emittenten. Des Weiteren wird das Thema in der Energiewirtschaft immer wichtiger, beispielsweise bei der Herstellung von grünem Wasserstoff, wo eine hohe Wasserqualität gefordert ist. Dadurch, dass PFAS derart omnipräsent sind, können hier künftig Methoden notwendig sein, die diese Qualität sicherstellen.

Was sind die nächsten Schritte?

Stefano Bruzzano: Gemeinsam mit unserem Partner werden wir das PerfluorAd®-Verfahren kontinuierlich weiterentwickeln. Ein Ziel ist es, den Trockengehalt des bei der Ausfällung entstehenden Schlammes zu erhöhen, um gleichzeitig den Wasseranteil im Verbrennungsvorgang zu verringern. Zudem werden wir uns vertieft mit der besseren Abtrennbarkeit von kurzkettigen PFAS beschäftigen. Und der technische Vertrieb ist ein breites Feld, das es auszubauen gilt. Wir suchen weitere Partner, die ihr Produktportfolio technologisch erweitern möchten, um flexible und leistungsfähige Lösungen zur Reinigung von PFAS-belasteten Wässern anzubieten. Das sind idealerweise große Unternehmen, die im Bereich Abwasser bzw. Wasser tätig sind. Im Besonderen solche, die komplementäre Aufbereitungstechnologien wie Aktivkohle und Membranen entwickeln bzw. anbieten.