»Wir wollen Technik von übermorgen adressieren«

Interview /

Von Strom zu Wasserstoff: Im Projekt H2GO arbeiten 19 Fraunhofer-Institute aus neun Bundesländern an Voraussetzungen für eine effiziente Großserienfertigung von Brennstoffzellen für die Lastenmobilität. Darunter Fraunhofer UMSICHT. Im Technologieverbund »Rolle zu Halbplatte« setzen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Oberhausen mit der kontinuierlichen Fertigung von Kunststoff-Compound-Halbplatten auseinander. Welche Herausforderungen dabei auf sie warten, verrät Prof. Dr.-Ing. Anna Grevé im Interview.

Anna Grevé
Prof. Dr.-Ing. Anna Grevé leitet am Fraunhofer UMSICHT die Abteilung Elektrochemische Energiespeicher.

Was unterscheidet H2GO von anderen Wasserstoff-Projekten, an denen das Fraunhofer UMSICHT beteiligt ist?

Anna Grevé: Eine Besonderheit ist sicherlich, dass hier 19 Fraunhofer-Institute in einem öffentlich geförderten Projekt zusammenkommen: Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr finanziert unsere Arbeit an einem »Nationaler Aktionsplan Brennstoffzellen-Produktion« – so der vollständige Titel von H2GO – mit rund 80 Mio. Euro aus den Mitteln des Zukunftsfonds Automobilindustrie. Eine weitere Besonderheit: Da es bereits Fertigungsverfahren für Brennstoffzellen gibt, wollen wir ein Stückweit Technologien von übermorgen adressieren. Wir wollen nicht das, was es jetzt schon gibt.

Wo liegt der Forschungsfokus der UMSICHTigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler?

Anna Grevé: Organisiert ist H2GO in vier Technologieteilverbünden, die sich jeweils mit verschiedenen Komponenten, die für Brennstoffzellen benötigt werden, bzw. mit den dahinterstehenden Fertigungsschritten befassen: (1) Rolle zu Halbplatte, (2) Halbplatte zu Bipolarplatte, (3) Stack zu Piece und (4) Rolle zu Membran-Elektroden-Einheit. In unserem – dem ersten – Teilverbund geht es um hochratenfähige Fertigungs- und Umformungsprozesse zur Herstellung von Halbplatten mit einem Fokus auf Fertigungsqualitäten und Ausbringungsvolumina. Während sich die Kolleginnen und Kollegen der Fraunhofer-Institute IPT und IWU mit metallischen Halbplatten befassen, konzentrieren wir uns auf die Fertigung von Kunststoff-Compound-Halbplatten.

Was bedeuten in diesem Kontext Halbplatten?

Anna Grevé: Bei Brennstoffzellen ergeben zwei Halbplatten eine Bipolarplatte. Diese Vollplatte hat eine innenliegende und eine außenliegende Struktur. Auf der einen Seite findet die Gasreaktion statt, die andere ist die Kühlseite. Bei der Fertigung dieser Halbplatten nutzen wir die Prozesstechnik, die wir für die Produktion unsere Bipolarplatten – zum Beispiel für Redox-Flow-Batterien – schon aufgebaut haben: Dabei wird eine Kunststoff-Pulvermischung durch ein System aus mehreren Walzen mit unterschiedlichen Temperaturen und Geschwindigkeiten geschickt. Zwischen diesen Walzen wird das Pulver bei moderaten Temperaturen und geringen Drücken aufgeschmolzen, intensiv geknetet, zu einer Bahn gewalzt und schließlich aufgewickelt. Das Material erhält dabei seine thermoplastischen Eigenschaften, ist also je nach Polymer biegsam und verschweißbar. Allerdings ist unsere Anlage nur für Polymere mit Niedertemperaturanwendungen geeignet. Für die Brennstoffzellen müssen wir Polymere verarbeiten, die höhere Schmelzpunkt haben und etwas fester sind.

Es muss also ein neues Walzwerk her.

Anna Grevé: Genau. Unsere aktuelle Anlage wurde gebaut, um die Produktion der Bipolarplatten vom Batch- in den kontinuierlichen Betrieb zu bringen. Jetzt müssen wir den Schritt vom kontinuierlichen in den produktionsfähigen Betrieb gehen. Das entsprechende Leistungsverzeichnis haben wir gerade aufgesetzt: Was muss das neue Walzwerk können? Welche Anforderungen haben wir an Verarbeitung, Geschwindigkeit, Prozessbedingungen etc.?

Für die Produktion von Brennstoffzellen muss aber auch der gesamte Fertigungsprozess neu gedacht werden, oder?

Anna Grevé: Auf jeden Fall. Unser Fokus bei H2GO ist die Industrialisierung der Fertigungstechnik – also die Massenproduktion bei hoher Fertigungsgenauigkeit und die Abstimmung verschiedener Fertigungsschritte. Dabei geht es nicht um die Materialentwicklung. Natürlich müssen wir die Anlagentechnik validieren, dass wir auch wirklich die Materialien damit verarbeiten können, die wir uns vorstellen, um dann nachher diese Qualitäten und Anforderungen für die Anwendungen der Brennstoffzelle adressieren zu können. Aber wir konzentrieren uns auf die Optimierung des Fertigungsprozesses.

Bei uns kommt im ersten Schritt eine »platte« Platte raus, dann muss diese Platte umgeformt werden. Und dann geht sie in den nächsten Prozessschritt, wo aus zwei Halbplatten eine Vollplatte gefügt wird. Dabei ist die Taktung der verschiedenen Prozessschritte ebenso relevant wie Fragestellungen zur Produktion wie Fertigungstoleranzen, minimaler Ausschuss oder hoher Durchsatz. Also alles, was diese Prozesse auf Massenfertigung trimmt. Das betrifft die Aufgabe des Materials, das Ausformen der Platten, die Umformung, der Zuschnitt nachher, das Fügen zur Vollplatte etc.

Und parallel werden diese Überlegungen zur Umformung metallischer Halbzeuge angestellt.

Anna Grevé: Wir werden uns im Rahmen von H2GO auf ein Standard-Zellen- oder Stackdesign für die Brennstoffzellen einigen und dann Produktionsschritte für unsere jeweiligen Materialien erarbeitet. Für uns ist das sehr spannend, weil wir die Chance haben, uns zu vergleichen: Welche Prozessschritte sind vielleicht von metallischen auf Kunststoffplatten übertragbar? Bislang kommen bei Brennstoffzellen vor allem graphitisch spritzgegossene Bioplarplatten zum Einsatz, die entweder schon in Form gegossen oder nachträglich durch Fräsen in Form gebracht werden. Metallische Platten dagegen werden so umgeformt, dass man etwas hineinpresst. Und diesen Ansatz – ich stelle mir das immer wie ein Waffeleisen vor, zwischen das wir unsere Platten legen – wollen wir gerne auch verfolgen.

Wo liegen Vor- und Nachteile von metallischen und Kunststoffplatten?

Anna Grevé: Bei Brennstoffzellen im Mobilitätssektor werden bislang fast ausschließlich metallische Platten eingesetzt. Vor allem, weil sie stabiler und auch günstiger sind. Die Produktion spritzgegossener, duroplastischer Compound-Bipolarplatten ist dagegen relativ kostspielig. Zudem lassen sie sich nicht so dünn herstellen wie Metallplatten, was zu höherem Platz- und Materialverbrauch führt. Außerdem weisen sie in der Regel eine gewisse Sprödigkeit auf, was beim Einsatz auf der Straße zu einer höheren Ausfallwahrscheinlichkeit führt. Metallische Platten wiederum sind korrosionsanfällig und müssen zusätzlich beschichtet werden. Und Brennstoffzellen aus beiden Materialien müssen abgedichtet werden.

Wir wollen das Beste aus diesen Welten verheiraten: Unsere Bipolarplatten sind thermoplastisch und lassen sich im kostengünstigen Rolle-zu-Rolle-Verfahren herstellen. Sie sind dünner als die bisherigen graphischen Platten und müssen nicht abgedichtet werden, da unser Material verschweißbar ist.

Was passiert mit den Ergebnissen aus den verschiedenen Technologieverbünden?

Anna Grevé: Die entwickelten Produktionsmodule werden parallel über einen digitalen Zwilling abgebildet. Am Ende steht eine virtuelle Referenzfabrik mit den erarbeiteten Lösungen. Die solchermaßen zur Verfügung gestellten Ergebnisse können beim Aufbau einer Brennstoffzellen-Industrie in Deutschland helfen. Dabei sind sowohl Anlagen- und Maschinenbau als auch klein- und mittelständische Unternehmen adressiert, die die die gesamte Wertschöpfungskette der Brennstoffzellen-Produktion abbilden.

 

FÖRDERUNG

»H2GO – Nationaler Aktionsplan Brennstoffzellen-Produktion« wird vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr mit rund 80 Mio. Euro aus den Mitteln des Zukunftsfonds Automobilindustrie entsprechend der Empfehlungen des Expertenausschusses gefördert Koordiniert wird die Förderung von der NOW GmbH. Die Umsetzung erfolgt durch den Projektträger Jülich (PtJ). Der Förderzeitraum reicht bis Ende 2025.tzen.